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Die Wirtschaft wächst weiter
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Eine Million Volkswagen wurden bereits produziert |
Baden-Baden, 3. Oktober 1956. (rst) Die westdeutsche Automobilindustrie brummt. Für 1956 wird ein Produktionsergebnis von über einer Million Fahrzeugen erwartet. Und auch in anderen Bereichen der Wirtschaft können die Direktoren nicht über Absatzsorgen klagen.
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, Vorwig, kann zufrieden sein. In Baden-Baden gab er aktuelle Zahlen zum Stand der westdeutschen Automobilindustrie bekannt. Demnach ist die Produktion in den ersten acht Monaten des Jahres 1956 um 25 Prozent auf 706.300 Fahrzeugeinheiten angewachsen. Waren es 1950 noch im Schnitt 3,9 Kraftfahrzeuge, die ein Arbeiter im Jahr erzeugte, so sind es heute bereits sieben. Und davon geht fast jeder zweite Wagen ins Ausland, die Exportquote liegt bei 45 Prozent. Keine Frage: Produkte mit dem Etikett "Made in Germany" verkaufen sich gut, im Ausland wie auch in Westdeutschland. Besonders die Automobilindustrie habe im großen Maße von der allgemeinen Einkommenssteigerung profitiert, so wurde in Baden-Baden festgestellt.
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Die Montagehalle mit Fließbändern eines Radio-Werkes |
Wirtschaftlichen Erfolg können aber auch andere Industriezweige vermelden: So ist mit einer Produktion von 200.000 Tonbandgeräten Max Grundig mittlerweile der größte Tonbandhersteller der Welt. Die Radioindustrie ist noch jung, doch Grundigs Radioapparatefabrik ist bereits die größte Fabrik ihrer Art in Europa. Jedes fünfte Radiogerät in Deutschland wird dort hergestellt, die Gesamtproduktion beläuft sich bisher auf über vier Millionen Rundfunkgeräte. Und die Industrie steckt noch voller Ideen und Entwicklungen. So hat Max Grundig kürzlich die "Stenorette" vorgestellt. Das ist ein Gerät, mit dem der Chef alleine nach Feierabend seine Briefe diktieren kann. Die Sekretärin drückt am nächsten Morgen nur auf eine Taste und kann so die Texte schreiben, die ihr Chef dort für sie gespeichert hat. Die Qualität deutscher Produkte hat sich mittlerweile sogar bis nach Amerika herumgesprochen. "Kein amerikanisches Radio kommt dem Grundig-Apparat in Klang und Sauberkeit auch nur nahe", erklärte Mr. Ashbach, Präsident der Majestic-International-Corporation. Im vergangenen Jahr konnte Grundig bereits einen Exportauftrag über 90 Millionen Mark mit Amerika abschließen.
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Volkswagen werden für den Export nach Amerika verladen |
Aber auch hierzulande kommen einheimische Produkte immer besser an den Mann oder auch die Frau. Denn auch diese ist mittlerweile in den Mittelpunkt wirtschaftlicher Überlegungen gerückt. So verdankt beispielsweise der Kaufmann Herbert Eklöh seinen Erfolg nicht zuletzt dem Konzept der Selbstbedienung, das er in seinen Lebensmittelläden als einer der Ersten umgesetzt hat. Wurde das Konzept bisher nur etwas zögerlich aufgenommen, so will Eklöh bereits im kommenden Jahr in Köln-Ehrenfeld einen 2.000 Quadratmeter großen "Selbstbedienungs-Supermarkt" eröffnen.
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Wirtschaftsminister Erhard auf dem
Autosalon in Berlin |
Man kann schauen, wohin man will, und kann feststellen: Den Unternehmern geht es gut. Mit ihnen profitieren auch die Arbeiter und Familien von dem stetig steigenden Bruttosozialprodukt. Im vergangenen Jahr betrug die Steigerung sogar 11,5 Prozent. Dies verdanken wir nicht zuletzt der Währungs- und Wirtschaftsreform und einer Industrie, die sich - wie man nun wohl zugeben muß - in richtiger Weise auf den Warenexport spezialisiert hat. Bundeswirtschaftsminister Erhard scheint mit seinem Wirtschaftsprogramm die richtigen Weichen für ein Erstarken unserer Wirtschaft gestellt zu haben. Doch man darf bei aller Freude über das bisher Erreichte auch die Schattenseiten nicht außer acht lassen: Im vergangenen Jahr 1955 waren 20 Prozent der Westdeutschen von Sozialleistungen abhängig, etwa eine Million Haushalte lebten unter der Armutsgrenze von 130 Mark Monatseinkommen.
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